Ich scrolle – wie jeden Tag – durch Instagram. Als Fotografin fällt es mir schwer, bei irgendwelchen Bildern hängen zu bleiben. Alles wirkt ziemlich gleich, auch wenn die Bilder schön beschrieben und technisch einwandfrei sind. Ich scrolle weiter. Die Masse an Bildern ist überwältigend. Ich ertappe mich dabei, dass ich bei „unprofessionellen“ Posts länger verweile als bei den Arbeiten von Profis. Ich weiß, warum – aber ich möchte es noch nicht aussprechen. Stop! Da ist es. Das Bild, das ich gesucht habe. Ein Foto, das mich bewegt, mich ärgert, mich zu Tränen rührt oder zum Lachen bringt. Ja, genau da ist es – das eine Bild, das eine Geschichte erzählt.
Storytelling – die Kunst des Geschichtenerzählers
Früher, wenn ich das Wort „Storytelling“ hörte, dachte ich sofort an Bücher. Schließlich kann man eine Geschichte doch nur mit Worten erzählen, oder? Vielleicht auch mit einem Film – ein Bild mit Ton, ja, das kann man machen. Aber mit einem Foto? Schon während meiner Ausbildung wurde mir schnell klar, dass es in der Fotografie nicht ohne Storytelling geht. Egal, ob du abstrakte Kunst machst oder in die dokumentarische Richtung gehst – Storytelling ist essenziell, um eine Verbindung zum Betrachter herzustellen und in Erinnerung zu bleiben.
Warum ist das Erzählen von Geschichten so wichtig?
Kunst war schon immer eine Möglichkeit, die Welt zu verarbeiten. Ein:e Künstler:in bringt eigene Erfahrungen, Emotionen und Perspektiven in die Werke ein – oft unbewusst. Das Kunstwerk sendet eine Botschaft an die Betrachtenden und löst eine Reaktion aus. Diese Reaktion ist nicht immer positiv, aber sie ist da. Und genau das ist der Grund, warum wir uns mit Kunst umgeben. Niemand möchte auf leere Wände starren. Kunst definiert uns, sie spricht für uns, wenn wir selbst keine Worte finden. Sie ist eine Form der stillen Kommunikation – ein essenzieller Bestandteil aller Kunst.

Kann Kunst ohne Storytelling existieren?
Ja, natürlich. Es gibt Menschen, die sich nur von der Ästhetik eines Werkes angezogen fühlen. Sie suchen keine tiefere Bedeutung, sondern einfach nur ein schönes Bild – vielleicht, weil es beruhigende Farben hat oder einen vertrauten Ort zeigt. Solche Werke sind wichtig, besonders als Dokumentation unserer Zeit. Sie bewahren unseren Lebensstil, unsere Rituale und unsere Denkweisen. Aber was unterscheidet sie von Bildern, die eine Geschichte erzählen?
Was macht den Unterschied zwischen einem Werk mit und ohne Storytelling aus?
Eine in das Werk eingeflochtene Geschichte vertieft den gesamten Entstehungsprozess sowie die Wahrnehmung der Kunst. Sie hebt das Werk wortwörtlich auf eine weitere Ebene der Reflexion, des Nachdenkens und des Empfindens. Wir betrachten nicht nur das Kunstwerk selbst, sondern entwickeln auch ein Interesse an den dahinterliegenden Motiven und den dargestellten Szenen. Nur solche Werke haben die Kraft, uns zu berühren, zu bewegen und eine Reaktion in uns hervorzurufen. Eine solche emotionale oder gedankliche Resonanz bleibt bei einem rein ästhetischen Werk in der Regel aus. Aus diesem Grund wage ich zu behaupten, dass Werke ohne Storytelling schneller in Vergessenheit geraten und weniger Beachtung finden als solche mit einer tiefgehenden Erzählstruktur
Eine Flut an Kunst
Ich glaube, zu keiner früheren Zeit waren so viele Menschen damit beschäftigt, ihre eigenen Gedanken und Emotionen in Form von Kunst auszudrücken wie heute. Einerseits ist diese Entwicklung der technischen Innovation zu verdanken, andererseits dem Wohlstand, in dem wir leben. Um Kunst zu erschaffen, muss man eine gewisse Sicherheit empfinden – erst wenn das Gehirn nicht mehr im Überlebensmodus verharrt, kann es sich freier der Kreativität widmen. Die Folge davon ist eine nahezu grenzenlose Vielfalt an Kunst, die wir heute erleben, sowie eine schnelllebige Konsumgesellschaft, die diese Kunst zugleich aufnehmen und verarbeiten soll.
Mit Lichtgeschwindigkeit durch das Leben
Was früher nur eine fantasievolle Vorstellung der Zukunft war, ist heute Realität. Unser Konsumverhalten hat nicht nur unsere Gewohnheiten verändert, sondern auch die Kunst, die uns umgibt. Während technische Fortschritte anfangs klare Vorteile boten, verschwimmen diese zunehmend, da Technologie immer zugänglicher wird und längst kein Privileg exklusiver Gesellschaftsschichten mehr ist. Auch kreative Fähigkeiten lassen sich heute deutlich schneller erlernen – so ist es beispielsweise möglich, innerhalb kurzer Zeit ein beachtliches fotografisches Niveau zu erreichen.

Deine eigene Geschichte ist dein Wiedererkennungsmerkmal
In dieser Flut an Kunst werden selbst die größten Talente oft übersehen und nicht anerkannt. Es ist zugleich ein Segen und ein Fluch, dass Kunst heute so zugänglich geworden ist. Doch eines bleibt immer zutiefst persönlich – und genau das kann als Werkzeug dienen, um die Welt für einen Moment zu entschleunigen: deine eigene Geschichte. Sie ist nicht nur das, was du erzählst, sondern auch, wie du denkst und die Welt um dich herum wahrnimmst. Dein Storytelling beginnt bei dir selbst und lässt sich mühelos in deine Arbeit als Fotograf:in einflechten – so wird deine Kunst nicht nur individuell, sondern auch unverwechselbar.
Storytelling als Anker
Jeder von uns hat unterschiedliche Erfahrungen gemacht und ist in einem einzigartigen Umfeld aufgewachsen. Doch nicht nur wir Künstler tragen unsere persönliche Geschichte in uns – auch unsere Zuschauer haben ihre ganz eigenen Hintergründe. Storytelling ist nichts anderes als der Versuch, genau jene Menschen aus der Masse herauszufiltern, die zu uns passen – diejenigen, die unsere Erzählungen nachempfinden können oder selbst ähnliche Erlebnisse hatten. Mit unseren Werken treten wir in Resonanz mit genau diesen Personen – sei es, weil sie auf der gleichen Wellenlänge sind oder weil sie das genaue Gegenteil von uns verkörpern. Storytelling ist letztlich ein Anker, der uns alle für einen Moment innehalten lässt und verbindet.
Unerwünschte Reaktionen
Storytelling ist ein zweischneidiges Schwert. Indem wir den Betrachter in Bewegung versetzen, kann es passieren, dass unsere Kunst nicht nur berührt, sondern auch verärgert. Manchmal lösen wir starke Emotionen aus – bis hin zu Reaktionen voller Ablehnung oder sogar Hass. Letztendlich liegt es nicht vollständig in unserer Hand, wie unser Werk aufgenommen wird. Doch wir haben die Möglichkeit, bewusst Elemente in unsere Kunst einfließen zu lassen, um eine bestimmte Reaktion hervorzurufen. Storytelling kann manipulativ eingesetzt werden, doch genau darin liegt eine große Verantwortung für uns als Künstler:in.

Verantwortung für das Storytelling übernehmen
In einer Zeit, in der Künstliche Intelligenz zunehmend die Welt prägt, wird es immer wieder Fälle geben, in denen Kunst manipulativ eingesetzt wird. Auch als Fotograf:innen haben wir einen erheblichen Einfluss darauf, wie ein Motiv dargestellt wird und welche Wirkung es entfaltet. Solange dies im Einklang mit unseren Werten geschieht, halte ich es nicht für verwerflich, ein bestimmtes Thema bewusst in den Fokus zu rücken. Dennoch sehe ich eine große Verantwortung bei allen, die kreativ tätig sind: Eine Botschaft sollte so vermittelt werden, dass sie möglichst wenig Schaden anrichtet und kein verfälschtes Bild der Realität erzeugt.
Storytelling ist unbequem
Ich habe mich lange gefragt, warum so viele Künstler nicht erkennen, wie wichtig Storytelling ist. Doch die Antwort kam schneller als gedacht: Storytelling ist unbequem. Es regt zum Nachdenken an, lässt niemanden unberührt und löst etwas in uns aus. Sowohl als Betrachter:in als auch als Künstler:in spürt man die Nachwirkung eines Werkes noch lange, nachdem man es geschaffen oder betrachtet hat. Doch genau das kann auch unangenehm sein. Nicht alles, was im Gedächtnis bleibt, ist angenehm – und manche Menschen wollen genau das vermeiden. Sie suchen keine Tiefe, denn Tiefe bedeutet Erinnerung, und Erinnerung kann herausfordernd sein.
Storytelling ist billig
Storytelling ist wie gesundes Essen – jeder weiß, dass es existiert, es ist frei zugänglich, und man muss nicht viel dafür bezahlen. Und doch weichen viele ihm aus, weil ein süßer Donut eben verlockender ist: Er schmeckt gut, erfordert kein Nachdenken und sättigt schnell. Theoretisch könnte jede:r sofort mit Storytelling beginnen. Es ist weder ein Hexenwerk noch ein Meisterlevel, sondern liegt direkt vor unseren Füßen. Doch trotzdem trauen sich nur wenige, es wirklich zu nutzen – denn Storytelling erfordert Mut.

Geschichten erzählen erfordert Mut
Um ein Storytelling zu kreieren, muss man sich zunächst öffnen. Es erfordert Aufgeschlossenheit, die Welt bewusst wahrzunehmen, Empfindungen zuzulassen und Erlebnisse durch die eigene Erfahrung zu filtern. Hochsensible Menschen mag das vielleicht leichter fallen, da sie ihre Umgebung ohnehin oft mit besonderer Detailgenauigkeit beobachten. Doch grundsätzlich steht dieser Zugang jedem offen, der es wagt. Allerdings bedeutet Storytelling auch, sich auf Spontanität einzulassen, sich neuen Impulsen zu stellen und immer bereit zu sein, eine Geschichte zu erzählen – und genau das erfordert viel Kraft und Mut.
Storytelling ist nicht beliebt
Als Storyteller bist du ein klein wenig verdammt. Aus den bereits genannten Gründen begibst du dich auf heikles Terrain – die Gefahr, jemandem auf den Schlips zu treten, ist groß. Um niemanden zu verärgern und möglichst beliebt zu bleiben, verzichten viele darauf, Storytelling einzusetzen. Denn wer will schon sein Pferd mit Halfter auf einem Foto sehen, selbst wenn es zu 100 % der Zeit auf Ausritten trägt? Oder lieber doch eine Person, die im Ballkleid über ein matschiges Feld tanzt abzubilden. Oder eine Weihnachtskugel, die nicht am Baum, sondern am Hals des geliebten Vierbeiners hängt, ist schon viel besser (Ja, ich verdrehe gerade die Augen.)
Storytelling ist wichtig wenn niemand zuschaut
Doch dann gibt es diese Fotos – die, die wir mit dem Handy im Stall gemacht haben. Als unser Pferd so süß in unsere Haare gepustet hat. Als es völlig verdreckt war, obwohl wir es am Abend zuvor noch stundenlang geputzt hatten – und wir heute nur noch darüber lachen können, weil jeder Wutanfall ohnehin zwecklos wäre. Oder das eine Mal, als wir unendlich traurig waren und uns an unser Pferd gekuschelt haben, weil wir wussten, dass es uns Trost spenden würde. Das sind die Bilder, die wir uns abends auf dem Sessel unter einer warmen Decke ansehen. Die, bei denen wir seufzen oder plötzlich laut lachen müssen. Die, die wir eines Tages anschauen werden, wenn unsere Lieblinge nicht mehr bei uns sind. Das ist Storytelling. Eine Erinnerung an echte Zeit.

Epilog
Ich schaue aus dem Fenster und überlege, was ich hier eigentlich geschrieben habe. Ich weiß, kaum jemand wird es lesen. Schade. Aber Moment – DU liest es gerade. Bis zur letzten Zeile.
Also weißt du längst, dass Storytelling auch dich bewegt. Du bist eine:r von uns.
Hi, ich bin Magdalena, und ich habe meine Seele dem Storytelling verschrieben. Wie heißt du?
Möchtest du Teil einer spannenden Storytelling-Community werden? Oder träumst du davon, Storytelling in der Praxis zu erlernen und von mir persönlich zu lernen? Dann zögere nicht – kontaktiere mich gerne!