In einer kleinen Hundehütte, mitten im Birkenwald, lag ein fuchsfarbener, kleiner Hund und steckte seine Nase unter seinen puscheligen Schwanz. Die Nächte in Polen wurden schon kalt, obwohl es erst Herbst war. Um ihn herum hatten sich auch die anderen Hunde zur Ruhe gelegt. Heute kam bestimmt niemand mehr. Es wurde dunkel. Vielleicht morgen. Oder übermorgen. Irgendwann musste doch jemand kommen, jemand mit leuchtenden Augen, der sie mit nach Hause nahm – in die Wärme.
Der kleine fuchsige Hund seufzte und fragte seine Schwester: „Meinst du, es gibt auch ein Zuhause für uns?“
Seine Schwester streckte den Kopf aus der Hütte, blickte in den sternenklaren Himmel und sagte leise: „Ich weiß es nicht.“ Seufzend legte sie sich zurück zu ihm. Der kleine Hund schloss langsam die Augen, zitterte vor Kälte und flüsterte: „Ich wünsche mir so sehr ein Zuhause.“
In diesem Moment fiel ein Stern vom Himmel.
Die Baustelle ist zu Ende
Auf diesen Moment hatte ich über ein Jahr gewartet. Endlich war unsere obere Etage fertig. Wir durften einziehen! Das bedeutete nicht nur ein richtiges Kinderzimmer, mehr Platz und Komfort, sondern auch: keine Ausreden mehr, keinen Hund zu haben. Fast drei Jahre ohne Hund waren vergangen, und die Sehnsucht war riesengroß. Ich war fest entschlossen, mich durchzusetzen. Mein Mann spürte meine Energie – und schließlich stimmte er zu, dass wir im Oktober, während unserer Fahrt nach Polen, das Tierheim „Przytulisko u Wandy“ besuchen durften. Von dort hatten wir einst unseren Hund Filip adoptiert.
Die Suche beginnt
Natürlich hatte ich bereits seit einiger Zeit die Hunde online durchstöbert und meine Favoriten ausgewählt. Doch immer wieder wurden die Hunde adoptiert, bevor wir sie kennenlernen konnten. Obwohl ich mich freute, dass sie nicht mehr warten mussten, war ich auch traurig. Aber ich hatte mir fest vorgenommen, nicht zu verzagen – jeder Hund, der in einem warmen Zuhause auf einem Sofa liegen durfte, war ein Grund zur Freude.
Endlich geht es los
Ich fieberte unserer Reise nach Polen entgegen. Doch kurz vor der Abfahrt erwischte mich und meinen kleinen Sohn Corona. Ich drückte die Daumen, dass alles klappen würde. Als wir endlich genesen waren, standen wir reisefertig vor der Tür. Doch dann testete sich mein Mann – positiv. Innerhalb von 30 Minuten musste ich entscheiden, ob ich alleine mit dem Kleinen nach Polen fahren sollte. Nach reiflicher Überlegung machten wir uns tatsächlich auf den Weg.
Ein Urlaub voller Hindernisse
Der Urlaub in Polen verlief leider ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Es war eine Zeit voller Ängste und Pech – aber das ist eine andere Geschichte. Dennoch war eines klar: Ich würde ins Tierheim fahren, um die Hunde auf meiner Liste zu sehen. Leider schien auch das nicht zu klappen – die Hündin meiner Wahl, war gerade adoptiert worden. Ich war unendlich traurig. Zum ersten Mal spürte ich, wie sehr mir ein Hund fehlte, seit Filip gestorben war befand ich wie unterm dunklen Schleier voller Schwäre. Die Trauer schien mich zu überwältigen. War das Pech – oder sollte es einfach so sein?
Ein zweiter Versuch
Zurück in Deutschland, erkannten mein Mann und ich, wie sehr mich die Situation belastete. Nur wenige Tage nach unserer Rückkehr stimmte er zu, noch einmal nach Polen zu fahren – nur, um den richtigen Hund zu finden. Wer schon einmal in einem Tierheim war, weiß, wie unfassbar schwer es ist, dort einen Hund auszuwählen. Doch wenn man ein kleines Kind zu Hause hat, mitten in einem Gebiet lebt, in dem Wild- und Nutztiere unterwegs sind, eine Nachbarhündin berücksichtigt werden muss und gleichzeitig plant, viel mit dem Hund zu reisen, wird die Entscheidung noch komplizierter. Mitwachsender Erfahrung wächst auch die Verantwortung. Man überlegt genauer, wägt sorgsamer ab – und so verbrachten wir ganze vier Stunden damit, von Geschichte zu Geschichte zu gehen, immer auf der Suche nach dem einen, klaren Herzsignal. Dieses magische Gefühl, das uns sagen würde: Das ist unser Hund.
Ein Henker und Retter zugleich
Es war schrecklich, sich manchmal umdrehen zu müssen und leise zu sagen: „Nein, das ist nicht der richtige.“ Ein Stich ins Herz, jedes Mal. Manche Hunde machten es uns sogar leichter – sie wollten schlicht nichts mit uns zu tun haben. Sie warteten auf jemand anderen. Und das wussten wir. Aber das Warten, das Hoffen, das Suchen – all das hatte seinen Sinn. Wir mussten es fühlen, um sicherzugehen. Schließlich ging es nicht nur darum, einem Hund ein Zuhause zu geben. Es ging darum, die richtige Entscheidung für beide Seiten zu treffen, für ein gemeinsames Leben voller Vertrauen und Liebe.
Die Entscheidung muss fallen
Eine andere Option, woanders zu suchen, kam für mich nicht in Frage. Bei Frau Wanda gibt es über 400 Hunde – also muss es doch zum Teufel einen geben, der uns mag und den wir mögen. Der zweite Hund, mit dem wir spazieren waren, war fast perfekt: Tuk Tuk. Verspielt, verträglich mit anderen Hunden, freundlich und suchte aktiv den Kontakt. Ein kleines Problem gab es jedoch: Jan wollte keinen zu großen Hund, und Tuk Tuk war ungefähr so groß wie ein Golden Retriever. Wir brachten ihn zurück in seinen Zwinger und hörten uns weitere Geschichten an. Tuk Tuk wäre unsere Wahl gewesen – wäre da nicht diese eine Kleinigkeit. Das Herz war noch nicht ganz dabei. Trotzdem sagten wir, wir würden es uns überlegen, und wahrscheinlich hätten wir ihn auch adoptiert. Aber die Geschichte ging noch weiter.
Der Hund sucht uns aus
Im einen Zwinger gab es rothaarige Geschwister. Ihre Geschichte hat mich sehr berührt. Als Welpen abgegeben, angeblich am Rand des Waldes gefunden, ließen sie sich zunächst gar nicht anfassen. Sie bekamen sogar skurrile Namen, denn am Anfang konnte man gar nicht feststellen, welches Geschlecht sie hatten: Rozowonosek und Czarnonoska – benannt nach der Farbe ihrer Nasen.
Malgosia, die Tierpflegerin vor Ort, erzählte uns von der unglaublichen Entwicklung der beiden, und ich konnte es mit eigenen Augen sehen. Für „Wildlinge“ waren sie schon erstaunlich gut an Menschen gewöhnt, auch wenn sie sehr ängstlich waren. Sogar uns, vollkommen Fremde, haben sie kurz begrüßt. Doch ich dachte mir: Ein ängstlicher Hund wäre die falsche Entscheidung in einem Haus, in dem ein kleiner, sehr agiler und lebhafter Junge lebt.
Abschied
Wir standen dort, völlig unentschlossen, und überlegten, welchen Hund wir nehmen sollten. Wir waren unsicher – keine gute Ausgangsposition, um einen Hund zu adoptieren. Schließlich beschlossen wir, nach Hause zu fahren und noch einmal in Ruhe darüber nachzudenken. Doch bevor wir aufbrachen, wollten wir uns von Tuk Tuk verabschieden.
Das Herz spricht leise aber klar
Da Malgosia gerade anderweitig beschäftigt war, standen wir direkt vor dem Zwinger der beiden Geschwister. Erst nach einer Weile bemerkte ich, wie intensiv die kleine Schwester am Zaun tanzte und versuchte, unsere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Der Bruder lief währenddessen unruhig umher. Die mutigere Schwester gefiel mir ein wenig besser, doch aus einem unerklärlichen Grund entschieden wir uns, den Jungen für einen Spaziergang mitzunehmen. Und dann geschah es. Ganz plötzlich. Es war da – das Signal meines Herzens. Es sagte mir unmissverständlich: Das ist dein Hund!
Vorfreude und Trauer
Als wir die Entscheidung angekündigt hatten, war die Freude groß. Es flossen viele Tränen, und die Frage kam auf: Was wird mit seiner Schwester? Mein Mann wollte nicht gleich zwei Hunde adoptieren, und auch ich war mir unsicher, ob das eine gute Idee wäre. Doch in meinen Hintergedanken hatte ich jemanden im Kopf, der ebenfalls schmerzlich einen Hund vermisste. Meine liebe Kundin Kati hatte ich bereits vorgewarnt, dass ich ins Tierheim fahren würde und eventuell auch für sie Ausschau halten könnte. Es erschien mir unglaublich unwahrscheinlich, dass es klappen könnte, aber ich musste es versuchen.
Wie Samu seinen neuen Namen bekam
Ich hatte tatsächlich einen Namen im Kopf, aber der passte zu einem ganz anderen Hund – und sollte es auch bleiben. Dieser Name passte überhaupt nicht zu unserem Hund. Auf dem Weg nach Deutschland suchte ich nach einem passenden Namen. Der Klang, die Bedeutung – alles sollte stimmen. Irgendwann kam mir der Name „Samu“ in den Sinn. Ich recherchierte, was er bedeutet, und fand die Antwort: „der Erhörte“.
Oh Mensch, wie passend!
Darf die Schwester mit?
24 Stunden lang schlug mein Herz vor Aufregung. Ich bombardierte Kati mit Fotos, Videos und allen möglichen Informationen. Kati kenne ich schon sehr lange, da ich ihre vorherige Hündin Badita fotografieren durfte – und sogar in diesem Jahr ihre wundervolle Hochzeit mit Henrik begleiten konnte. Ich wusste, dass ihr Zuhause perfekt ist und sie dort sehr geliebt werden würde. Aber wer ist bitte so verrückt, eine Entscheidung nur auf Basis von Fotos zu treffen? Ich hatte bereits einen Plan B im Kopf: die Kleine zunächst auf Pflege zu nehmen. Irgendwie würde es schon funktionieren – auch mit zwei Hunden. Das war der Masterplan.
Zum Glück musste ich meinen schelmischen Plan gar nicht umsetzen, denn Kati und Henrik sagten JA! Sie wollten sie haben.
Quarantäne und Vorfreude
Lange 28 Tage mussten wir noch warten, bis wir unsere Hunde abholen durften. Auf der Reise nach Polen begleitete uns die wunderbare Jenny von Tier und Tat e.V.. Dank ihrer unglaublichen Erfahrung und ihrer guten Beziehungen zum Tierheim in Polen fühlte ich mich sicher. Ich hatte großen Respekt davor, zwei ängstliche Hunde zu transportieren und sie sicher nach Hause zu bringen.
Zum Glück unterstützte uns Jenny auf dieser Reise – und so konnten wir unsere beiden Schätze endlich abholen.
Ein Versprechen an Samu
Ich habe Samu ein Versprechen gegeben: Er wird seine Schwester nicht verlieren. Sie werden sich sehen, ein Leben lang – besuchen, miteinander spielen, einander nie ganz aus den Augen verlieren. Das klingt vielleicht grausam, aber ich wusste, dass die Trennung von seiner Schwester ihm guttun würde. Er war ihr vollkommen untergeordnet, ihr Beschützer in jeder Situation. Diese Rolle hatte ihn geprägt, ja fast gefangen gehalten, und ihm kaum Raum gelassen, seine eigene Persönlichkeit zu entfalten. Später bestätigte sich, was ich geahnt hatte: Samu hatte stets auf sie aufgepasst, sich hinter sie gestellt und dabei vergessen, wer er selbst war. Ich wollte ihm die Möglichkeit geben, herauszufinden, wer er sein kann – frei von dieser Last. Dieses Versprechen an ihn war mir ebenso wichtig wie seine Verbindung zu seiner Schwester zu bewahren.
Happy Ending
Nun sind wir hier. Sitzen zusammen auf dem Sofa und kuscheln miteinander. Es gibt so viele „erste Male“ für Samu, und er meistert sie alle mit großer Würde und überraschend viel Mut. Er kennt ja gar nichts – wirklich alles ist neu. Und trotzdem kommt er wunderbar mit meinem kleinen Sohn, mit anderen Hunden und vielen neuen Situationen zurecht. Jeden Tag entdeckt er mehr von sich selbst und lernt, wie unsere Familie funktioniert. Ich glaube, er beginnt, es richtig zu genießen, hier zu sein.
Epilog
Samu liegt in seinem kuscheligen Bett und atmet tief aus. Er schaut sich um. Es ist Abend, und der Kleine schläft schon. „Mama“ arbeitet am PC, und „Papa“ schaut einen Film. Viele Geräusche sind ihm noch fremd und machen ihm manchmal Angst. Doch Mama sagt immer: „Es ist nur laut, das tut nicht weh.“ Das beruhigt ihn. Sie passt auf ihn auf.
Jetzt darf er sich erst mal ausruhen. Es war ein langer Tag. Es war ein langes Leben im Tierheim. Samu schließt die Augen und denkt: „Ich glaube, so sieht ein Zuhause aus. Das ist mein Zuhause.“
Warum ein Hund aus dem ausländischen Tierschutz?
Das ist eine andere Geschichte.